Bewusstsein Medizin

Ich kann dich gut riechen

Ursachen führen zu Wirkungen und die sind dann wieder die Ursachen neuer Wirkungen. Diese Kette führt dazu, dass wir oft leiden. Zu diesen Ursachen und Wirkungen gehören auch die Sinneswahrnehmungen und die Erinnerung daran.

Mein Vater war gestorben und ich hatte mich vor der Beerdigung am offenen Sarg von ihm verabschiedet. Auf der Rückfahrt vom Leichenschauhaus zu meiner Wohnung bemerkte ich auf einmal einen Geruch, den ich kannte. Es war der Geruch des Rasierwasser meines Vaters, von dem er immer zu viel auftrug. Er wollte schließlich stets gut riechen, da er sich immer wieder mit anderen Frauen als meiner Mutter traf. Oft genug wurde ich als kleiner Junge von ihm mit hölzernen Kochlöffeln und Kleiderbügeln geschlagen. An die Schmerzen konnte ich mich später nicht mehr erinnern, aber an sein Rasierwasser, das ihn wie eine Wolke umgab, wenn er mich schlug. Diese Erinnerung roch ich förmlich, als ich mich auf dem Nachhauseweg weg von seinem Leichnam befand. Ich litt in dem Moment aufs Neue.

Medizinisch betrachtet, ist der Geruchsinn etwas ganz Besonderes und unterscheidet sich von den anderen Sinnen. Der Mensch ist tatsächlich in der Lage bis zu einer Billion Gerüche zu unterscheiden. Dabei besteht ein Geruch eigentlich nur aus Molekülen, die von den Zilien, Ausläufern der Sinneszellen, in der Nase aufgenommen werden. Ein Kaffeegeruch besteht beispielsweise aus rund 800 verschiedenen Molekülen. Durch den Geruch, den wir aufnehmen, werden Assoziationen erzeugt, wie die an das Rasierwasser meines Vaters. Die Signale aus der Nase umgehen den Thalamus, in dem sonst alle Sinneseindrücke verarbeitet werden. Er entscheidet, was gerade wichtig ist und was nicht. Bei den Gerüchen kann er das nicht, denn die landen direkt im Riechkolben, einem Sektor im vorderen Bereich des Gehirns. So werden Gefühle erschaffen. Gerüche lösen Erinnerungen aus, die vorher in der Amygdala gespeichert worden sind. Sie hat den Schrank voller Blaupausen für unser Verhalten im Leben. Vor dem Hintergrund sollten auch die Räucherstäbchen oder der Raumduft sehr sorgfältig ausgesucht werden. Irgendwo gibt es sicherlich ein positives Gefühl zu einem ganz speziellen Geruch.

Es sieht also nur scheinbar so aus, als ob wir uns in der Realität bewegen. Tatsächlich aber ist es unser Gehirn, das die Realität erschafft. Das wusste Siddharta Gautama schon vor 2.500 Jahren und das erstaunt mich immer wieder. Es ist offensichtlich, dass wir unser Leiden auch im Gehirn erschaffen. Das Leiden, dass durch den Sinneseindruck des Geruchs entsteht. Sind wir uns dessen bewusst, können wir die endlose Kette von Ursache und Wirkung aufbrechen und uns aus ihr befreien.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert