Meditation Philosophie

Was sagt der Schneemann dazu?

„Mit einem Ende | lehnt an die Berge sich dort | der Strom des Himmels“, schrieb der japanische Dichter Shiki. Er modernisierte im vorigen Jahrhundert die alte Kunst der Haiku-Dichtung. Der Aufbau der kleinen japanischen Gedichte ist immer in 5-7-5 Silben. Was außerdem nicht fehlen darf ist ein Kigo, ein Wort, das in irgendeiner Form die Jahreszeit angibt. So die strengen Regeln des Haiku. Das kann auch gerne ein wenig verklausuliert sein wie in dem Gedicht von Shiki. Der Strom des Himmels lehnt sich dort an … Das geht natürlich nur, wenn das Wasser gefroren ist. Sonst klappt das mit dem Anlehnen nicht und schon erkennen wir, dass wir es mit dem Winter zu tun haben und der Strom des Himmels ist der Kreislauf der Natur, der Kreislauf des Wassers. Aus der Wolke fällt das Wasser, es tränkt die Erde mit seinen Pflanzen. Wir ernähren uns von den Pflanzen und trinken ein Tässchen Tee. Das Wasser verdunstet und wird zur Wolke. Eigentlich sind die Gedichte auch immer eine Meditation bei der Betrachtung der Natur und von uns selbst, die wir nichts anderes sind als ein Bestandteil der Natur und nicht von ihr getrennt oder verschieden.

Bashos Zen-Weg der Poesie: Kado

Einer der bekannteste Vertreter der Zen-Meditation in der Poesie des Haiku ist Matsuo Bashō. Er lebte im 17. Jahrhundert in einer Hütte aus Bananenblättern, die ab und zu auch schon mal verkokelte. In der Hütte meditierte und dichtete er. Für ihn war die Poesie ein eigener Lebensstil des Zen geworden, der Kado, ein Begriff, der heute für alles Mögliche verwendet wird – vom digitalen Management bis Kosmetik: „Erlange Erleuchtung, dann kehre zurück in die Welt der normalen Menschlichkeit“, sagte Bashō. Er war offenbar davon überzeugt, dass es für die Erleuchtung nicht unbedingt einen Meister brauche. Man solle nicht in den Fußstapfen der alten Meister herumlaufen, sondern einfach das suchen, was auch sie suchten. Ähnliches ist auch die Essenz von Hermann Hesses Roman „Siddharta.“

Es ist sicherlich auch kein Zufall, dass gerade die Haikus von Basho etwas Mystisches, etwas Rätselhaftes haben. Basho war Zen-Praktizierender und so sind seine Haiku vielleicht als Koan zu sehen. Nach der letzten gelesenen Silbe bleibt etwas zurück, das enträtselt werden muss. Sie sind wie kleine Schlüssel zum Wesen der Welt. Sie wirken in uns dreidimensional. Der tibetische Buddhismus kennt die Mandalas, die Zeichnungen oder Sandbilder, die auch zunächst zweidimensional sind. In der Meditation werden sie zu Tempeln, in denen sich der Meditierende bewegen kann. Das Gleiche schafft Basho mit seinen Zeilen, die uns hindurchschreiten lassen.

Shikis Schulfreund war der später in der Meiji-Zeit berühmte Schriftsteller Soseki Natsume, der von Shiki erst auf das Schreiben gebracht wurde. Er dichtete:

Was ist deine
ursprüngliche Natur,
Schneemann?

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