Angst essen Seele auf
Eigentlich ist es ein Gefühl, das uns schützen soll. So ist es von der Natur gedacht. Kommt ein Grizzlybär auf uns zu, laufen wir weg, weil wir Angst haben. Es sei denn, wir kennen den Grizzlybären persönlich. Das kommt aber in den seltensten Fällen vor. Die Angst ist ein sehr starkes Gefühl. Damit reagieren wir gewöhnlich auf eine persönliche Bedrohung. Siehe Grizzlybär. Es gibt die Angst auch krankhaft übersteigert und dann nennt der Psychologe dies Angststörung. Neurowissenschaftler bestätigen, was Buddhisten bereits vor einigen Jahrhunderten feststellten: Der erste Sinneseindruck steuert unser Verhalten. Die Wahrnehmung geht im Gehirn zunächst in den Thalamus (einem Hauptteil des Zwischenhirns) und wird von dort gleich zum limbischen System (einem Randgebiet zwischen Groß- und Stammhirn) weitergeleitet. Und schon wird in diesem System nach Blaupausen gesucht, also um ähnlichen Sinneseindrücken, die es schon kennt. So entsteht aus dem ersten Sinneseindruck, der zunächst ja völlig neutral ist (aha … da kommt ein Bär …) eine Emotion: Hab ich schon mal gesehen … Bär frisst Mensch … also her mit der Angst. Ergo gibt es immer zunächst einen völlig neutralen Eindruck aus dem dann eine Emotion wird: Wut, Trauer, Angst aber auch Glück, Ruhe, Vorfreude. Oft belastet die negative Angst auch das gesamte Leben eines Menschen, wie es beispielsweise in dem Film „Angst essen Seele auf“ von Regisseur Rainer Werner Fassbinder dargestellt wurde.
Zurück zu den neurologischen Ursachen der Angst. Dass der erste Sinneseindruck neutral ist, also erst einmal nichts mit der Angst zu tun hat, haben die Buddhisten erkannt. So machen sie sich diesen Prozess zwischen Erkennen und Emotion bewusst. Anschließend stellen sie diesen Prozess in Frage: Also, muss aus dem ersten Eindruck zwangsläufig Angst entstehen? Wenn sie nun sehen, dass der Mensch vor bestimmten Situationen keine Angst haben muss, verschwindet auch die Angst. Vor allem dann, wenn die Situation immer und immer wieder erlebt wird.
Die meisten Moderatoren haben sehr großes Lampenfieber, wenn sie zum ersten Mal vor einem Publikum stehen. Mit der Zeit werden diese Auftritte aber immer angstfreier, weil sie zur Gewohnheit geworden sind. Sie stehen vor einem großen Publikum und haben die Erfahrung gemacht, dass sie auch wieder lebend aus der Situation herauskommen. Gut – ein klitzekleines Lampenfieber wird oft für ein paar Sekunden bleiben. Das hat aber mit anderen Dingen zutun: Wird die Technik funktionieren? Kommt mein Gesprächspartner? Habe ich alle Fragen und Texte, die nötig sind, um unterhaltsam zu sein? Es ist aber nicht mehr die Angst vor dem Publikum, das sich auf den Moderator stürzen könnte, um ihn in der Luft zu zerreißen.
Die Angst lässt uns auch falsch und oft unsinnig reagieren. In einer Fernsehserie aus den 1970ern, Kung Fu, gab es die Geschichte, dass der junge Mönchsnovize von seinem Meister geprüft werden sollte. Der Meister, es war Master Po, führte den Novizen in eine schwach mit Kerzenlicht beleuchtete Halle. Dort stand ein Kessel von riesigen Ausmaßen. Über dem Rand lag eine hölzerne Planke. „Grashüpfer“, sagte Master Po, „bei deiner Prüfung in drei Tagen musst du über diese Planke gehen.“ Der Novize warf einen scheuen Blick in den Kessel und sah am Boden so etwas wie weiße Knochen liegen. Master Po erklärte: „Die sind von den Novizen, die in den Kessel mit Säure gefallen sind.“ Der Novize übte drei Tage lang, über eine schmale Planke zu laufen, die auf Steinen aufgestellt war. Das war sein Training für die Kesselprüfung und es klappte sehr gut. Der Tag der Prüfung kam und der Novize setze einen Fuß nach dem anderen vorsichtig auf die Planke über dem Kessel. Er blickte nach unten, sah die Knochen und seine Knie zitterten. Seine Beine wollten ihm nicht mehr gehorchen und beim nächsten Schritt rutschte er ab und fiel in den Kessel. Er ruderte um sein Leben. Master Po dagegen lachte, denn die vermeintliche Säure war schlicht klares Wasser. Als der Novize schließlich tropfnass vor dem Kessel stand, sagte Master Po: „Grashüpfer, weißt du, warum du in den Kessel gefallen bist? Es waren nicht die Beine, es war deine Angst, die dich fallen ließ.“
Es sind meistens die Dinge, die nur in unsere Vorstellung sind, die uns Angst machen.