Der sanfte Donnerdrachen
„Ich muss aussteigen …“, sagte ich dem Fahrer und tippte ihm auf die Schulter. Wir saßen in einem kleinen Conceptcar, diese kleinen japanischen Wagen, in denen man hintereinander sitzen muß. Nun gut, man könnte auch zu zweit nebeneinander sitzen, aber dann müsste man schon sehr, sehr klein sein. Ich wollte an der Stelle, an der der Fahrer nun hielt unbedingt die Landschaft fotografieren. Wir waren auf dem Weg zu einem Dzong, einer Klosterburg, im Paro-Tal. Ich versuchte ein paar Schritte zu gehen und bekam kaum Luft. Ich hatte mich noch nicht an die Höhe von rund 4000 Meter gewöhnt, weil ich mich gleich von der Hauptstadt Bhutans, Thimpu, auf den Weg gemacht hatte. Nachdem ich mein Foto geknipst hatte, stieg ich wieder ein und wir fuhren auf der schmalen Straße weiter. Bhutan hat mich von Anfang an begeistert und das nicht nur wegen der Landschaft: die Menschen sind einfach unglaublich freundlich und lächeln die Ausländer ständig an, wie eine alte Frau, die an der Straße saß und mir mit ihren roten Zähnen entgegenstrahlte. Sie kaute Betelnüsse. Kinder liefen mir entgegen und begrüßten mich. Ich gab ihnen ein paar Kugelschreiber, weil ich hörte, dass die in den Schulen Mangelware waren. Nun hieß ich fortan „Mister Pen“. In den Straßen standen Fässer, aus denen dünner Rauch stieg. In anderen Ländern hätte man in solchen Tonnen Müll verbrannt. Nicht in Bhutan. Hier waren es wohlriechende Hölzer, damit die Luft im ganzen Ort auch gut riecht.
Als ich den Paro Rimpong Dzong erreichte, wurde mir von den Dreharbeiten zu „Little Buddha“ von Bernardo Bertolucci erzählt. Viele Mönche, die damals noch Kinder waren, konnten sich gut an die Dreharbeiten erinnern. So erfuhr ich, dass der Regisseur ein wenig geschummelt hatte, denn der Film sollte in Tibet spielen. Aber das große Kloster Paro Rimpong Dzong mit seinen freundlichen Mönchen stand in Bhutan. Dort fand die Suche nach der Reinkarnation des großen Lehrmeisters Lama Dorje statt. So die Filmhandlung.
Bhutan, das Land des Donnerdrachens, ist das einzige Land in dem der Buddhismus die Staatsreligion ist und das habe ich immer spüren können. Die Menschen lachen, die Haustüren sind offen und wenn zwei Bhutanesen sich mal über etwas nicht einigen können, gehen sie in das nächste Kloster und fragen dort um Rat. Der Mahayana-Buddhismus ist die Grundlage für die Kultur und das Leben miteinander. Ein reger kultureller Austausch mit dem Nachbarland Tibet ist seit dem 7. Jahrhundert nachgewiesen. Der tibetische König Songtsen Gampo ließ in der Zeit die ersten buddhistischen Tempel errichten. Als allerdings die chinesische Volksbefreiungsarmee in Tibet am 7. Oktober 1950 einmarschierte und das Land gewaltsam annektierte, wurden die Grenzen zu Bhutan geschlossen.
Im März 2022 wird ein 400 Kilometer langer Fernwanderweg in Bhutan eröffnet, der sich quer durch das Land zieht. Es werden viele Touristen kommen, da die Wanderleidenschaft in den vergangenen Jahren immer weiter zugenommen hat. Es wäre schade, wenn das Land seine Freundlichkeit verlieren würde und sich immer mehr ein westlicher Einfluss breit macht.